Indien bezeichnet sich zu Recht als größte Demokratie der Welt. Die Verfassung von 1949/50 ist westlich geprägt und garantiert den Einwohnern des Staates
- Gerechtigkeit,
- Freiheit,
- Gleichheit und
- Gewaltenteilung.
Trotz einiger Defizite und Probleme in der Umsetzung, etwa der Korruption (Indien belegt beim internationalen Korruptionsindex auf Platz 85 von 183 Staaten) ist das Land ein wichtiger oder sogar der wichtigste Stabilitätsanker in Südasien.
Das Parlament Indiens besteht aus zwei Kammern –
- dem Rat der Staaten (Raj Sabha analog zu dem deutschen Bundesrat) und
- dem Haus des Volkes (Lok Sabha analog zu dem deutschen Bundestag).
Das Volk bestimmt direkt nur die Zusammensetzung des Haus des Volkes, auch Unterhaus genannt, dessen 550 Mitglieder alle fünf Jahre gewählt werden. Der Rat der Staaten (Oberhaus) besteht aus 238 Gesandten der Bundesstaaten und Unionsterritorien sowie zwölf direkt vom Präsidenten ernannten Größen aus Kunst, Wissenschaft und sozialen Diensten. Der Präsident wiederum wird für fünf Jahre von der Versammlung aller Vertreter des Unionsparlaments und der Staatenparlamente gewählt.
Das Wahlalter in Indien liegt bei 18 Jahren; etwa 60 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung machen von ihrem Wahlrecht gebrauch. Für das Parlament gewählt ist jeweils ein Bewerber eines jeden Wahlkreises, welcher die einfache Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen kann. Zwar ist dieses Mehrheitswahlrecht vergleichsweise einfach, doch kann es die Zusammensetzung der Volksvertretung verzerren. So erreichte die Kongresspartei landesweit noch nie mehr als 48 Prozent der Stimmen, doch errang sie damit beispielsweise 1984 76 Prozent der Parlamentssitze.
Neben einigen gewichtigen regionalen Parteien, unzähligen Kleinparteien und den Kommunisten konkurrieren in Indien zurzeit in erster Linie die erwähnte Kongresspartei und die Indische Volkspartei (BJP – Bharitaya Janata Party) um den Wahlsieg.
Aus der bereits 1885 gegründeten Kongresspartei, welche die Unabhängigkeit vom Britischen Empire forderte und durchsetzte, gingen solch legendäre Größen wie Mahatma Gandhi oder den Vater der indischen Verfassung, Dr. B.R. Ambedkar, hervor. Bis zur Öffnung des Landes Anfang der 1990er Jahre formulierte die Partei die Ziele Demokratie, Sozialismus und Säkularismus. Heute erkennt die Partei die Ausrichtung auf eine privat geführte Volkswirtschaft an. Der Nationalkongress, der bis 1978 alle Ministerpräsidenten stellte, macht sich außerdem für die Gleichberechtigung der Frau sowie höhere Bildungsausgaben stark.
Die indische Volkspartei wird ideologisch durch starken Hindunationalismus dominiert. Sozialismus und Säkularismus werden abgelehnt, ein „Reich der Hindus“ angestrebt. Der gemäßigte Flügel der Partei strebt eine beschleunigte Öffnung zum Weltmarkt sowie die Liberalisierung des Binnenmarktes an. Von 1998 bis 2004 stand das Land unter der Führung der BJP mit ihrem Ministerpräsidenten Vaypajee. Während dieser Zeit kam es zwar zu schweren, auch von Volkspartei und Schwesterorganisationen verursachten, Gewaltwellen zwischen Hindus und Moslems, doch erfüllten sich glücklicherweise nicht alle dunklen Prophezeiungen. So konzentrierte sich die Regierung auf Liberalisierungsprozesse, die außenpolitische Profilierung als Weltmacht und die Wiederaufnahme des Dialogs mit Pakistan.
Für die Zukunft scheint man sich keine allzu großen Sorgen um die 60jährige indische Demokratie machen zu müssen. Trotz aller Probleme stimmt ein Großteil der Bevölkerung den Verfassungsinstitutionen zu. Die Einbeziehung der Minderheiten und benachteiligter Gruppen, Frauenquoten, reservierte Sitze für untere Kasten etc. haben die demokratische Idee tief in der Bevölkerung verankert. Probleme hingegen liegen weniger in ideologischen als vielmehr bei dringlichen Sachfragen, wie Korruptionsbekämpfung, Schaffung von Arbeitsplätzen und dem Ausbau von Gesundheits- und Bildungswesen. Hier hat die indische Politik noch viel Nachholbedarf – doch die Demokratie selbst steht – wie beschrieben – nicht zur Debatte.